Ein Tag im Fotorestaurierungs-Atelier
Von Nadine Reding

Oktober 2018

Guten Morgen Atelier. Als erstes werden die Hauptstromschalter angestellt, denn das einzige Gerät, das immer am Stromkreislauf hängt, ist der Kühlschrank, der Rest ist aus Sicherheitsgründen abgestellt. Der Computer wird hochgefahren, ebenso die Kaffeemaschine und die Musikanlage. In einer Emailpfanne wird Weizenstärkekleister mit kaltem Wasser aufgelöst. Nach der vollständigen Auflösung wird der Kleister unter ständigem Rühren aufgekocht. Dies dauert bis zu 20 Minuten. Anschliessend wird er mit Wasser runtergekühlt und kann erst mal ruhen. Zwischenzeitlich werden die Emails gecheckt und beantwortet.


Fotografie löste bei mir schon immer eine Faszination aus, schon in der Schulzeit benutzte ich das Medium oft und wurde so ein bisschen zur Pfadi- und Klassenfotografin. Eine Fotografenausbildung sollte es nicht sein, aber eine Retuscheurin sollte aus mir werden. Am ersten Berufsschultag stellte sich raus, dass ich die einzige bin. Gegen Ende des ersten Lehrjahres, wurde ich vor die Wahl gestellt, meine Lehre in einem Grosslabor oder als Lithografin zu beenden. Nach einem Jahr im Grosslabor wurde die Lehre vom Berufsverband abgeschafft, doch ich durfte meine vierjährige Lehre beenden und schloss als letzte Retuscheurin der Schweiz ab. Im letzten Lehrjahr lag einmal eine Ambrotypie auf unserem Tisch. Mein Lehrmeister und ich sassen gemeinsam an einem grossen Tisch, uns beiden war klar, dass für uns Retuscheure bei diesem Objekt nichts zu machen war. Mich liess es nicht los, dieses wunderbare Objekt musste doch irgendwie behandelt werden können. Und so wurde ich auf den Beruf des Fotorestaurators aufmerksam. Nach Studium und unzähligen Praktika in Wien und Rochester NY bildete ich mich zur Fotorestauratorin aus und schätze mich äusserst glücklich, einen solch fantastischen Beruf ausüben zu dürfen.


Eine der Herausforderung in der Bearbeitung der Fotografie ist die Materialvielfalt, von Metall (Daguerreotypien) über Glas (Negative) zu Papieren (Abzüge) und vieles mehr. Oft müssen Fachleute aus ganz anderen Gebieten beigezogen werden, um ein Objekt zu behandeln. Bevor eine Fotografie bearbeitet wird, wird eine Dokumentation erstellt. Der Vorzustand wird fotografisch dokumentiert, das Objekt vermessen und untersucht. Zu bearbeitende Abzüge werden nahezu in allen Fällen trockengereinigt, dazu werden verschiedene Methoden, vom Pinsel bis zum Schwamm, angewandt. Um zum Beispiel gerissene Fotografien zu kleben, wird der selbsthergestellte Kleister verwendet, der ca. 3 Tage lang brauchbar ist. Damit der geklebte Riss besser hält, wird mit Japanpapier, das es in verschiedenen Stärken gibt, verstärkt. Das Japanpapier wird mit Wasser «geschnitten», dadurch bleiben die Fasern als Ganzes erhalten und es entstehen feine Übergänge.
 
Im Atelier werden Objekte montiert, sei es für Ausstellungen oder zum Beispiel für einen Sammler, der Carbonabzüge von Adolphe Braun liebt. Diese Prints rollen sich bei Klimaschwankungen gerne, daher werden sie mit einer speziellen Methode auf hochwertigen Fotokarton montiert, damit sich der Braun-Liebhaber seine Sammlung anschauen kann, ohne die Objekte zu beschädigen.


Trocknungsphasen geben mir Zeit für Expertisen, Bestandesanalysen oder Kursvorbereitungen. Vermehrt müssen Expertisen für Versicherungen geschrieben werden, vor allem für Fotografien aus der Neuzeit. Oft werden diese unsachgemäss gereinigt und erleiden so im schlimmsten Fall einen Totalschaden. Bestandsanalysen von Archiven sind wichtig für die Planung einer Langzeitarchivierung von fotografischen Materialien. Je nach Zustand und Umfang steht das Archiv vor der Problematik, tausende von Fotografien oder Negativen erhalten zu müssen. Es werden Konservierungsvorschläge und Workflows verfasst, um die Menge bearbeiten zu können. Wichtig in solchen Fällen ist unter Berücksichtigung der konservatorischen Standards die Wirtschaftlichkeit eines solchen Unterfangens.


Regelmässig werden im Atelier Kurse abgehalten, sei es über die Konservierung oder Identifizierung von fotografischen Materialien oder in der Herstellung historischer Fototechniken. Über die Jahre ist die eigene Sammlung von verschiedenen Techniken und von gesichteten Schadensfällen kontinuierlich gewachsen. Die Sammlung fliesst in alle Kurse mit ein und vermittelt den TeilnehmerInnen so direkt und nachhaltig Wissen rund um die Fotografie. 

 
Oft entstehen Zusammenarbeiten mit bereichsfremden Institutionen. So konnte mit einem Softwareentwickler ein Programm entwickelt werden, das vorhandene Metadaten nach einer kleinen Aufbereitung automatisch in die Datenbank einfügt. Ein beschädigtes Hologramm führte einmal dazu, dass ein befreundeter Physiker und eine kleine Gruppe Interessierter sich im Atelier zu einem Hologramm-Infoabend mit Vortrag und Vorführung trafen.


Ich schweife ab, der Atelieralltag – genauso kann’s gehen. Plötzlich erhält man einen Anruf und packt die «Notfallsachen» für ein runtergefallenes Objekt, das an der Vernissage am kommenden Tag nicht fehlen darf und trotz Beschädigung gezeigt werden soll. Nach dem restauratorischen Eingriff darf es dann auch in der Ausstellung hängen bleiben. Im Atelier geht’s aber meist eher ruhig zu und her. Viele Arbeitsschritte müssen genau und sorgfältig geplant werden. Einige Fotografien werden mit Feuchtigkeit oder Bädern behandelt, hier ist es wichtig, dass sämtliche Materialien bereit liegen, damit eine erfolgreiche Restaurierung stattfinden kann. Es wird oft mit Spezialmaterialien, die im gängigen Handel nicht erhältlich sind, gearbeitet. Dann werden sie selbst hergestellt, oder etwas wird zweckentfremdet wie zum Beispiel eine alte Stricknadel aus Knochen, die zu einem Minispatel geschliffen wird.


Ein klassischer Behandlungsvorgang umfasst die Trockenreinigung und die anschliessende Nassreinigung. Im Falle von Glasnegativen werden diese zuerst mit einem weichen Pinsel beidseitig abgewischt. Die Schichtseite wird im Anschluss mit einem Lösungsmittelgemisch gereinigt. Glasnegative wurden oft retuschiert, in vielen Fällen sogar beidseitig. Bei der Nassbehandlung ist immer genau zu schauen, ob es sich um Schmutzflecken oder Retuschen handelt. Aktuell werden verschiedene Fotografien, die einen Wasserschaden erlitten haben, behandelt. Eine Klimakammer verhilft den gewellten Fotos zur Entspannung, im Anschluss werden sie plan gelegt. Durch das Wasser wurden Stempelfarben und Kugelschreibertinte angelöst, die auf anderen Fotografien Abdrücke hinterlassen haben. Mit verschiedenen Methoden werden je nach Tinte und Technik der Fotografie die Abdrücke reduziert und im besten Falle entfernt.
 
Die Arbeit im Fotorestaurierungsatelier ist äusserst abwechslungsreich und bringt immer wieder neue Herausforderungen. Die Suche nach neuen Lösungsansätzen ist stets gefordert und verlangt nach einem fachlichen Netzwerk, das nach Bedarf kontaktiert werden kann. So kann es durchaus sein, dass man am Abend beim Runterfahren des Computers und dem Ausschalten sämtlicher elektronischer Geräte feststellt, dass der Tag eine ganz andere Richtung genommen  hat, als geplant war. Der kommende Tag wird’s richten.
 
Nadine Reding absolvierte eine 4-jährige Lehre als Fotoretuscheurin und schloss diese schweizweit als letzte dieser Art ab. Nach einem Restaurierungspraktikum studierte sie an der Berner Fachhochschule Restaurierung und Konservierung von Grafik, Schriftgut und Fotografie. Während des Studiums nutzte sie jede freie Minute, um entweder in Wien bei einem renommierten Fotorestaurator oder in Rochester bei Kodak ein Praktikum zu machen, um so viel wie möglich aus der Praxis zu erlernen. Seit 2004 führt sie ihr eigenes Atelier fokore für Fotorestaurierung. Nebenher arbeitete sie in verschiedenen Institutionen.

Ausrahmung einer Ambrotypie für die anschliessende Bearbeitung

 
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Daguerreotypie vor der Restaurierung

 
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Daguerreotypie nach der Restaurierung

 
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Ablösen einer beschädigten Gelatineschicht vom Glasträger

 
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Links: Originalverpackung Holzkiste. Rechts: Nach Bearbeitung und Konservierung der fotografischen Materialien

 
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