Oktober 2020
Vor rund zwei Jahren habe ich die Leitung der Sammlung des Musée de l’Elysée übernommen. Das Museum besitzt eine Sammlung von schätzungsweise 200‘000 Fotoabzügen, 200‘000 Dias auf Film und Glas und 800‘000 Negativen, die in den letzten 35 Jahren zusammengekommen sind. In gut einem Jahr zieht das Museum in einen Neubau um und wird zusammen mit dem Kunst- (MCBA) und dem Designmuseum (MUDAC) Teil der Stiftung PLATEFORME 10. Mein Tätigkeitsfeld siedelt sich in diesem Spannungsfeld der klassischen Sammlungspflege und -vermittlung, des Umzugs und des mit der Neupositionierung einhergehendem digitalen Wandels in der Sammlungsbetreuung an. Es ist auf mehreren Ebenen ein grosser Umbruch für das Museum und damit eine spannende und herausfordernde Phase. Es gibt vieles neu zu definieren – eine einmalige Chance für das Museum, wobei die Koordination und Zusammenarbeit unter den Museen ein Balanceakt ist – zwischen dem Nutzen von Synergien und dem Bewahren von individuellen Bedürfnissen.
Die Abteilung Sammlungen ist in mehrfacherweise daran beteiligt: Definition der neuen Archivräumlichkeiten und -ordnung, Datenbankwechsel, Aufbau der digitalen Infrastruktur (digitales Langzeitarchiv), online Präsentation der und Zugang zu den Sammlungen, Neudefinition der Abläufe teilweise in Koordination mit den beiden anderen Museen, und zudem wird es neu eine Sammlungsausstellung geben. Nicht zuletzt müssen die Sammlungen für den Umzug vorbereitet werden, wobei die Akquise und ein minimaler Benutzungsservice weiterlaufen. Das Team der Abteilung Sammlungen besteht aus zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, einem digitalen Archivar, einer Dokumentalistin, einer Registrarin sowie einem Fotografen, der für die Digitalisierung zuständig ist. Verstärkt wird das Team durch zeitlich begrenzte Mandate für bestimmte Projekte, zwei Zivildienstleistenden und einer Praktikantin. Die Konservierung ist eine eigene Abteilung (Leitung, Restaurator, Konservierungstechniker und Praktikantin), mit der wir sehr eng zusammenarbeiten.
Der Umzug und der damit verbundene Zusammenschluss der Museen unter der Administration der PLATEFORME 10 bietet die einmalige Chance, einen engen Erfahrungsaustausch aufzubauen und sich gegenseitig zu unterstützen. Ein ganz neuer gemeinsamer Bereich entsteht zudem durch die Ablösung der IT vom Kanton und dem damit notwendigen Aufbau der digitalen Infrastruktur. Für die Sammlungen sind dabei mehrere Bereiche von zentraler Bedeutung: Die Akquise- und Erhaltungsmöglichkeiten von digitalen Werken und Beständen ist abhängig von den Speicherkapazitäten und deren Qualität. Diese bilden somit die Grundlage für die Ausweitung der Sammlungen in das 21. Jahrhundert, wobei der Ablauf der Akquise von digitalen Werken und insbesondere Beständen und der damit verbundene Datentransfer von den Fotografinnen und Fotografen in die Institution noch zu bestimmen ist. Das Record Management System für die digitale Ablage der drei Museen und der Administration der PLATEFORME 10 muss definiert und aufgebaut werden – dieses wird für das ganze Museum von der Abteilung Sammlungen begleitet. Die Datenbank fürs Sammlungsmanagement wird ausgewechselt, wobei die drei Museen untereinander ihre Bedürfnisse abgleichen müssen, da es eine Lösung für alle drei geben wird. Der Datenbankwechsel bringt nicht nur einen enormen Datentransfer mit sich, sondern erfordert ebenso eine Definition der Arbeitsprozesse, damit die Nutzung der Datenbank unter den Museen koordiniert abläuft. Diesen Wechsel nutzen wir zugleich, um unsere Prozesse der Norm Spectrum 5.0 anzupassen, um damit in unseren Abläufen möglichst kompatibel mit anderen Museen zu sein. Mit der neuen Datenbank werden wir daraufhin arbeiten können, die Sammlungen online zugänglich zu machen.
Neben dieser immateriellen Zukunftsarbeit gibt es die schier endlose Knochenarbeit der Sammlungsaufarbeitung und der Vorbereitungen für den Umzug. Dank den neuen Sammlungs- und Archivräumen werden wir unsere Sammlungen, die zurzeit auf fünf verschiedene Depots verteilt sind, mehrheitlich zusammenführen können – wir werden voraussichtlich ein externes Depot für die Nitratnegative führen. Diese Zusammenführung wird in zwei Wellen geschehen, zuerst die aufgearbeiteten Sammlungen und Bestände und in einem zweiten, zeitlich deutlich späteren Schritt die nicht aufgearbeiteten Beständen aus einem der Aussendepots, wobei noch zu definieren ist, ob dies schrittweise mit der Aufarbeitung geschieht oder auf einen Schlag.
Im Neubau werden wir neu drei verschiedene Klimazonen haben: 6 Grad Celsius für die flexiblen Negative und Diapositive, 10 Grad Celsius für die Farbabzüge und 17 Grad Celsius für die Schwarzweissfotografie, die Glasplatten und frühen Unikatverfahren. Um die Sammlungen in die neuen Archivräume transportieren zu können, müssen diese als erstes nach Materialien getrennt werden. Dieses Triageprojekt wird zugleich dafür genutzt, die Ablage der Formate zu optimieren. Das bisherige alphabetische Ablagesystem wird zudem mit dem Umzug auf ein numerisches Ablagesystem nach Zugängen umgestellt. Innerhalb dieses Projekts wird zugleich Inventur gemacht, damit auch klar ist, was genau umgezogen wird. Die Inventur erfordert aber zugleich, dass alle noch nicht eingeordneten und versorgten Objekte, die sich in den letzten 35 Jahren und zig Ausstellungen aus den Sammlungen angesammelt haben, identifiziert und eingeordnet werden. Dieses Aufräumen ist enorm zeitaufwendig, da mit der Identifikation oft auch gleich der rechtliche Status geklärt werden muss. Diese Dedektivarbeit ist einerseits sehr spannend, und wir lernen unsere Sammlungen neu kennen, andererseits kann es auch sehr frustrierend sein, zu sehen, wie vieles unaufgeklärt und unbearbeitet liegengeblieben ist.
Ein Umzug fördert alle Leichen ans Licht, dabei wird aber auch deutlich, dass sich das Verständnis der Sammlungsarbeit in dieser Zeit massiv verändert hat. Waren rechtliche Fragen Ende des 20. Jahrhundert marginal behandelt worden, so sind sie heute mit den Möglichkeiten der digitalen Vermittlung zentral. Zu Beginn der Geschichte des Museums standen die Ausstellungen im Vordergrund, galt es doch, sich einen Namen zu machen. Es wurden zahlreiche Fotografennachlässe aufgenommen, die heute eine Spezifik der Sammlungen des Museums bilden und eine unglaubliche Quelle. Doch Negative, Diapositive und schriftliches Archivmaterial wurde zwar aufgenommen und somit glücklicherweise erhalten, aber – da sie kaum ausstellbar sind – nur gelagert und nicht aufgearbeitet, so dass heute das Museum auf einen grossen Teil unkonservierter und unerschlossener Bestände blickt. Die Fotoabzüge, die in die Sammlungen aufgenommen wurden, hingegen sind oft einzeln erschlossen und konserviert. In einem Museum, das zwischen Kunstfotografie und Fotografie als Massenware oszilliert, muss für die Sammlungsbearbeitung ein austariertes System zwischen musealer Bearbeitung von Objekt zu Objekt und einer archivischen Bearbeitung mit hierarchischen Strukturen und Massenbearbeitung erarbeitet werden. Gerade um die für viele schwer lesbaren Negative und Diapositive zugänglich zu machen, sind Erschliessungs- und Digitalisierungsprojekte zentral, aber auch die Abzüge müssen mittels solcher Projekte ins digitale Zeitalter mitgenommen werden. Hierbei wollen wir in Zukunft auch die digitalen Möglichkeiten des Crowdsourcing und Crowdfounding nutzen.
Der Neubau und die Umzugspläne des Museums wecken natürlich das Interesse der Medien, und da das Museum die Sammlungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, erhalten wir deutlich mehr Fotosammlungen und Fotobestände angeboten – von einzelnen Fotografien bis hin zu ganzen Beständen von mehr als 100‘000 Objekten. Jedes Angebot wird mittels Rückfragen und je nach Einschätzung durch Besichtigung evaluiert und dem Akquisekomitee unterbreitet. Der Entscheid wird den Anbietenden rückgemeldet, danach werden bei einem positiven Bescheid die rechtlichen Fragen geregelt und der Transport der Objekte ins Museum organisiert. Nun beginnt die Aufarbeitungsphase, wobei diese bei kleineren und mittleren Umfang oberste Priorität hat, so dass wir stets über die Neueingänge kommunizieren können. Bei der Übernahme und Aufarbeitung von Fotografenbeständen ist es wichtig auf den Rhythmus und die Bedürfnisse der Fotografinnen und Fotografen Rücksicht zu nehmen, da es sich zumeist um Personen am Ende ihrer Schaffensphase handelt und sie sich von ihrem Lebenswerk trennen, was für einige nicht einfach ist. Es gilt hier eine gute Vertrauensbasis zu schaffen. Dies ist ein anspruchsvoller und schöner Teil der Arbeit als Sammlungsverantwortliche.
Auch der Ankauf von Werken ist weiter am Laufen, so dass der Markt über Messen und Auktionen zu beobachten ist. Als kantonales Museum, das sich aber als nationalen und internationalen Player der Fotoszene versteht, gilt es in der Sammlungspolitik ein Gleichgewicht zwischen Lokalem und Internationalem zu finden. Bei jedem grossen oder bedeutenden Zugang ist zudem die Versicherung anzupassen. Es stellen sich also auch Fragen der Versicherungspolitik, gerade auch im Hinblick auf den Umzug.
Neben diesen Kernaufgaben der Sammlungserhaltung stehen die Arbeiten für die Vermittlung und Zugänglichkeit der Sammlungen. Diese reichen von Reproduktions- und Rechercheanfragen über Recherchearbeiten zu internen Ausstellungen hin zur Mitarbeit bei der Konzeption der neuen Sammlungsausstellung und der digitalen Präsentation der Sammlungen.
Eine grosse Herausforderung ist das Zusammenbringen von verschiedenen Rhythmen: Die Aufarbeitungsprojekte sowie die Basisarbeiten der Erschliessung, Erhaltung und Digitalisierung sind Arbeiten für die es einen langen Atem und ein beständiges Arbeiten braucht. Bei den Anfragen und Ausstellungsprojekten hingegen stehen kurze und intensive Arbeitsphasen im Vordergrund. Zudem ist die Sichtbarkeit der Ausstellungs- und Aufarbeitungsprojekten ist sehr unterschiedlich und damit auch deren Wertschätzung und Finanzierungsmöglichkeiten. Es gilt hier die Sammlungen und die Sammlungsarbeiten noch mehr aus ihrem Schattendasein herauszuführen.